SCRATCHES

Welche Rolle spielen Körperlichkeit sowie Sinnlichkeit in eurer Musik und kostete es keine Überwindung solche Themen offen und ehrlich anzupacken?

Sarah-Maria Bürgin: Bin mir nicht sicher, ob ich die Frage richtig verstehe. Ich werde die Frage in Bezug auf die Inhalte der Songs (Lyrics) versuchen zu beantworten. Körperlichkeit, Sinnlichkeit und Erotik bedeuten eine Erschaffens - und eine Lebensenergie, die Lust am Leben, den Hunger auf Leben. Und mit Erotik meine ich nicht Sex und das hilflose Gefummel zwischen den Geschlechtern, sondern die Gefühle dahinter. Erotik im grossen Kontext ist eine grosse kreative Energie. Ich glaube sogar zu behaupten, dass viele psychische Krankheiten daher kommen, dass Menschen nicht mehr in ihren Körpern leben, diese nicht mehr berührt, geliebt werden, diese gebunden und nicht mehr frei sind im Geist. Und wenn ich also Songs schreibe zu den dunkleren Seiten des Lebens, dann komme ich nicht darum herum auch da in die Abgründe zu schauen und da kann ich Sinnlichkeit und Erotik nicht aussen vor lassen. Ich nenne ein paar Beispiele aus Before Beyond: Medusa’s Hair ist ein Song über eine personifizierte Verführungsfigur, die am Fluss aus dem Wasser steigt und Liebende, bei denen das erotische Feuer erloschen ist, zu sich ans Wasser lockt, sie quasi sexuell wieder zum Leben erweckt. Beautiful spricht klar eine körperliche Liebe an, wenn auch überhöht in der Erinnerung, ob es real körperlich oder immer nur der Wunsch danach war, ist aber offen.

Maybugs behandelt das Thema „Entjungferung“ auf poetische Weite, bewusst nicht direkt, zielt aber darauf ab und ist ein Statement zur Stigmatisierung junger Mädchen zu Sexobjekten in unserer Gesellschaft, die auf Kosten der jungen Mädchen geht und das sagenumwobene „erste Mal“ versucht das Bild eines „Bruchs“, „das Gebrochen werden“ zu beschreiben, über das Frauen selten sprechen. Repression beschreibt eine von Leidenschaft gequälte Seele, die alles weggepackt und unterdrückt hat über Jahre und plötzlich kommt diese unterdrückte Leidenschaft zurück und zeigt sich von ihrer negativen Seite, kommt als gewalttätige Mörderin zurück. Und die gequälte Seele versucht um alles in der Welt das Hochkommende weiterhin zu unterdrücken und ist unfähig mit den eigenen Emotionen umzugehen. tugging and tearing at you in brutal hate back into the cupboard you burble and you swallow

What a Waste besingt mit einem Augenzwinkern, die immer wieder vergebene Liebesmüh what a waste!. Was suchen wir alle immer wieder das Glück in der Liebe, unseren Traummann oder unsere Traumfrau und was bleibt: die Enttäuschung. Wir leben in Bildern, nicht mit dem was ist und was real ist, sondern lassen uns vom schönen Hochglanz-Happy - für immer und dich“ Kopfkino leiten und natürlich: Wer im Kopfkino lebt statt im Hier und Jetzt, kann nur enttäuscht werden. Hoffe, du meinst mit deiner Frage diese Themen. Für mich ist es keine Ueberwindung Körperlichkeit/Sinnlichkeit und die damit einhergehenden verborgenen Tabus und/oder heikleren Themen in der Musik oder in der Lyrik einen Fokus zu geben. Ich sehe grade die Musik als grosse Chance poetische und musikalische Umsetzungen für nicht ganz einfach Themen zu finden und über diese zu singen, ist vielleicht sogar einfacher als darüber zu reden.

Wie weit war der Weg von „Fade“ zu „Before Beyond“? Ihr habt als Duo begonnen, richtig? Was hat sich sonst noch verändert?

Sarah-Maria Bürgin: Der Weg von „fade“ zu „Before Beyond“ hat positive aber auch neue Herausforderungen mit sich gebracht: Positiv ist sicherlich, dass unsere Songs vielfältiger geworden sind und Kraft der Musik weiter in den Vordergrund gerückt ist, d.h wir haben mit Marco und Jonas neu eine tolle Rhythm Sektion am Start. Das gibt den Songs und den Emotionen mehr Fleisch am Stecken. Die Songs haben musikalisch mehr Ausdruckskraft und auch mehr musikalischen Spielraum, das finde ich positiv. Eher neu ist für mich als Songwriterin aber auch, dass ich mehr um die Lyrics, um die Inhalte kämpfen muss, dass die ihren Raum nicht einbüssen. Früher waren es Sandro und ich alleine also ein Musiker und eine Texterin, nun sind es drei Musiker und ich als Texterin, da muss ich schon manchmal etwas vehementer um den Inhalt eines Songs kämpfen, wenn plötzlich aus einer Idee ein Jam wird. Haha.

Die Kluft zwischen „Medusa’s hair“ einerseits und „Beautiful“ und „The crow and the sheep“ andererseits hat mich verwundert. Sind da nur verschiedene Vorlieben innerhalb der Band vorhanden, oder wurden die Tracks von je zwei verschiedenen Personen geschrieben?

Sarah-Maria Bürgin: Interessanterweise hat Sandro Corbat Beautiful geschrieben, Crow & Sheep und Medusa's Hair habe ich geschrieben. Aber (wie du richtig schreibst): Beautiful und The Crow& The Sheep liegen musikalisch viel näher beieinander. Der grosse Unterschied zwischen den Songs liegt daran, dass Sandro's musikalisches Spektrum sehr weit ist, dass er auch immer wieder Neues ausprobiert und weiter sucht, wohingegen ich eher altmodisch bin und gerne in den Stimmungen singe, die ich mag, die ich liebe, die ich kenne. Sandro ist da experimentierfreudiger als ich und daher auch die von dir angesprochenen Kluft zwischen den Songs.

Vielleicht ist die Gelegenheit günstig sich mal ein paar Tipps jenseits der eigenen Hörgewohnheiten abzuholen. Was hat euch außer Cave, Waits und möglicherweise Madrugada, Sivert Höyem oder dem späten Leonnard Cohen zu „Before beyond“ inspiriert?

Sarah-Maria Bürgin: Mich hat für das neue Album weder Cave, Waits, Cohen und wie sie alle heissen inspiriert, zumindest nicht bewusst als Motor die neue Platte zu machen, diese Vergleiche oder Querverbindungen macht ja dann immer die Presse nachträglich. Sondern inspiriert hat mich der alte Gutshof in Brandenburg, der alte Ballsaal, in dem wir an unseren neuen Songs gearbeitet haben und die Fledermaus, die nachts über unseren Köpfen ihre Kreise zog. Unsere Zeit in diesem „Schloss“ hat bei mir viel ausgelöst, ein Gefühl für Demut, Respekt....

An einem historischen Ort zu verweilen, wo Gutsherren mit Pferden und ihren Fräuleins im Ballsaal getanzt und Anlässe gegeben haben, dann Enteignung, dann Ärzte und Rechtsanwälte ihre Praxen und Kanzleien im Gutshof hatten, dann Flüchtlinge untergebracht wurden, vielleicht sogar die Freimaurer im Keller gewohnt haben, diese Geschichten förmlich in den Wänden dieses alten abgefuckten Gutshofs drin zu spüren, das löst Respekt aus. Respekt vor Zeit und vor Geschichten. Respekt davor zu realisieren, es gab eine lange Zeit vor uns und es kommt eine lange Zeit nach uns und wir sind nur ein kleines Moment in dieser Zeiteinheit, dieser Zeitrechnung drin. Sind nur ein winziges Teilchen der Wahrheit, sind immer nur ein Sandkorn in tausenden und abertausenden von Sandkornabrechnungen. Wenn wir „Father“ in diesem Ballsaal geprobt haben, hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass da einer sitzt im Gebälk, irgendwo, dass da noch Wesen tuscheln in den Ecken. Zeit und Vergänglichkeit so direkt zu spüren und dass wir alle nicht wissen was kommen wird, was kommen mag danach.

Einen Song zu spielen, um im Ballsaal die Resonanz auf diesen, dann gleich dreifach zurück gehallt zu bekommen, das hat mir Eindruck gemacht. Und hat zum Titel des Albums geführt: Before Beyond, vor dem Nichts stehen, vor dem Jenseits, vor dem nicht wissen, was kommt. Wissen, dass wir gehen, dass wir weiter gehen aber nicht wissen wohin wir gehen. Es gab eine Musikerin, deren Platten ich im Rauchersalon neben dem Plattenspieler in der Zeit im Schloss, wieder entdeckt habe und das war: Anne Clark Und wenn du noch einen Namen hören willst: Janis Joplin, ist für mich halt gaaaaaaanz gross, zumindest war sie das früher als ich noch kleiner war.

Könntest du eure Herangehensweise ans Songwriting beschreiben? Ist sie demokratisch, habt ihr euch spezialisiert, geht ihr analytisch vor ... oder nach Bauchgefühl? Kommen zuerst die Texte oder die Musik?

Sarah-Maria Bürgin: Analytisch, nein und demokratisch auch nein. Bis jetzt war die Rollenverteilung so, dass ich mit den Lyrics meistens die Inhalte vorgegeben habe und Sandro die Musik, die Arrangements dazu gemacht hat und man die Songs dann zusammen entwickelt hat. Seit der Zeit auf dem Schloss ist es aber auch so, dass Marco und Jonas musikalisch einen grossen Einfluss haben, was man der Musik auf dem neuen Album ja auch anhört. Aber eigentlich entstehen die Songs immer zuerst mit einem Inhalt, einem Text. Bis jetzt zumindest, denke, das kann sich ändern, je nachdem, was jeder Einzelne reinbringt in die gemeinsamen Proben, die wir im Juli 2017 fortsetzen werden und wieder in „unser Schloss“ gehen werden, um neue Songs zu entwickeln.

Wie kam denn der Kontakt zu Frederyk Rotter zustande? Kennt ihr die anderen Bands auf seinen Labels?

Sarah-Maria Bürgin: Auf der Suche nach einem Label hat mir Steffi Klär aus Basel mal von Fredy geschwärmt und meinte, ich soll ihn doch mal anschreiben, dass sie sich vorstellen könnte, dass er unsere Musik mag und dem war auch so. Wie erstaunt war ich, dass Fredy sich tatsächlich zurückmeldet und mir vorschlägt, dass wir uns zusammensetzen. Oh schön war das! Und ich muss sagen, Frederyk mit Czar of Crickets ist das grösste Geschenk, was uns passieren konnte, denn jemand, der so viel Herzblut reinsteckt in das, was er mag und an was er glaubt, kann man suchen gehen wie die Kontaktlinse im Sand. Er hat uns in der kurzen Zeit, in der wir erst mit ihm arbeiten, schon so viele Türen geöffnet und ein Netzwerk aufgebaut, da reicht kaum noch ein schlichtes „danke“ um der Dankbarkeit Ausdruck zu geben. Es ist wahnsinnig was Fredy reinsteckt in seine Bands und mit welcher Ruhe und mit welchem Feingespür er arbeitet, wo man sich als eines seiner „Schäfchen“ geborgen und aufgehoben fühlt, was ein sehr gutes Gefühl ist. Ich kenne ein paar der Bands auf seinem Label, allerdings nicht persönlich.

Wie würdest du die Szene in Basel beschreiben? Welche Clubs sind einen Besuch wert und welche Lokalgrößen habt ihr denn so?

Sarah-Maria Bürgin: Die Frage, kann ich schwierig beantworten, weil ich in der Musikszene nicht wirklich zu Hause bin oder noch nicht bin. Neuere Clus in Basel, die einen Besuch wert sind, sind sicher das Terrorsamba an der Feldbergstrasse und die Kaschemme an der Muttenzerstrasse, beides tolle Clubs und mit viel Herzblut betrieben. Hmmmm, eine Lokalgrösse ist sicherlich grade die Gospel - Metal Band Zeal & Ardor, die wie eine Sternschnuppe am Himmel aufgetaucht ist und die Sängerin Anni Goldchild und Steffi Klär mit ihrem wundervollen Jazzformat Soirée Lundi, die es immer wieder schafft fantastische MusikerInnen und SängerInnen aus Jazz und Pop/Rock zusammenzubringen und in verschiedenen Formationen zusammen spielen zu lassen.

Was steht im Zentrum eurer Bemühungen? Versucht ihr „Spaß“ zu haben, seht ihr eure Band als Kunst und legt darauf mehr Augenmerk, oder geht ihr die Sache mehr betriebswirtschaftlich (würg) an?

Sarah-Maria Bürgin: Würg, nein. Und betriebswirtschaftlich machen wir nur rückwärts. Haha. Ich sehe unsere Musik als ein wichtiges Element für Themen, die brennen, die einen berühren, angehen, umtreiben, beschäftigen und dafür einen musikalischen Ausdruck zu finden. Natürlich macht es uns Spass, allerdings kann man, glaube ich, einen gewissen Anspruch an Kunst nicht verleugnen, oder sagen wir in meinem Fall, Anspruch vielleicht auf Inszenierung. Ich kann Musik nicht nur als Musik sehen, sondern sehe unsere Musik, unsere Songs immer verknüpft mit Bildern, mit Stimmungen mit einer Aura mit Objekten, Materialien und letztlich mit Inhalt. Letztlich ist unsere Musik immer eng verknüpft mit dem Bedürfnis von den dunkleren Seiten des Lebens zu erzählen und Fragen zu stellen und dem Anliegen an gewissen Dingen zu rütteln und zu kratzen, um zu sehen, was drunter zum Vorschein kommt.

1000 Dank für die Ausführungen.

Thomas Eberhardt